Haben Pflanzen beim Sammeln von Licht die Nase vorn?

Photovoltaik und Photosynthese sind zwei grundlegend verschiedene Prozesse. Der Vergleich lohnt sich trotzdem, denn beide Prozesse basieren auf demselben Prinzip. Sonnenlicht soll in verwertbare Energie umgewandelt werden, am besten so viel wie möglich.

Der weltweite Energiebedarf liegt heutzutage unter Berücksichtigung aller Primärenergieträger wie Öl, Kohle, Gas, Wasser, Nuklear und weitere bei ungefähr 150.000 Terrawattstunden (TWh) pro Jahr, also 150.000 Milliarden Kilowattstunden (kWh). Zum Vergleich, ein Schnitzel mit Erdäpfelsalat enthält eine Energiemenge von zirka 1 kWh. In einem vollen Dieseltank sind bis zu 1.000 kWh nutzbare Energie gespeichert. Und spule ich auf den Streckenzähler dieses Autos während seiner Lebenszeit eine Rekorddistanz von einer Million Kilometer, habe ich gerade mal ein Promille – also den tausendsten Teil – einer Terrawattstunde verbraucht.

Zu den weiteren, oben nicht erwähnten Energieressourcen, zählt die direkte Umwandlung des Sonnenlichts in elektrische Energie – die Photovoltaik. Sie wird deswegen nicht vorrangig genannt, weil die damit gewonnenen Energiemengen weniger als 0,5 % vom Weltenergiebedarf ausmachen. Allerdings ist der Photovoltaikanlagenbau voll im Trend, der jährliche Zuwachs liegt im 15-jährigen Mittel bei etwa 30 %. Die oben genannten Daten stammen von der Internationalen Energieagentur (IEA), die in aufwändiger Forschungsarbeit aus unzähligen Quellen Jahresberichte über den weltweiten (menschengemachten) Energiehaushalt erstellt. Doch wie sieht es in der Natur aus? Wir wissen, dass bei der Photosynthese Sonnenlicht aufgenommen wird. Aber leider veröffentlichen die Pflanzen davon keine jährlichen Zahlen, wir müssen die Energiemengen also auf eine andere Weise quantifizieren. Davor wollen wir jedoch den technischen und den natürlichen Prozess der Umwandlung von Sonnenenergie gegenüberstellen und eventuell Parallelen ziehen.

Photovoltaik vs. Photosynthese

In der Welt der Chemie werden grundsätzlich drei verschiedene Arten von Elementen unterschieden: Metalle, Nichtmetalle und Halbmetalle. Letzteren wollen wir uns genauer widmen, denn im Gegensatz zu Metallen, die Strom auf jeden Fall leiten, und Nichtmetallen, die Strom nur unter sehr extremen Bedingungen leiten, kann man Halbmetalle relativ einfach dazu animieren und diese Eigenschaft suchen wir für den photovoltaischen Effekt. Im Grundzustand des Halbleiters befinden sich sämtliche freie Elektronen im sogenannten Valenzband. Wie Autos verharren sie am Parkplatz einer Raststation, weil die Autobahnauffahrt gesperrt ist. Trifft nun ein Lichtteilchen auf das Material, wird die Sperre für genau ein Elektron geöffnet und es hüpft in das Leitungsband. Dort saust es mit Höchstgeschwindigkeit von einem Ende zum Anderen und liefert im Anhänger eine Portion Strom für den Verbraucher. Eine funktionierende Photovoltaik-Zelle besteht noch aus anderen Komponenten, die für die Lichtabsorption und die Erzeugung einer elektrischen Spannung notwendig sind. Das Grundprinzip basiert aber im Wesentlichen auf den Eigenschaften eines Halbleiters.

Photosynthese beginnt ebenfalls mit der Absorption von Licht. Allerdings benötigen die Pflanzen außerdem noch Kohlenstoffdioxid und Wasser, die durch eine chemische Reaktion in Glukose und Sauerstoff umgewandelt werden. Der Zucker wird von der Pflanze gespeichert oder direkt für ihr Wachstum verbraucht und der Sauerstoff wird an die Umgebung abgegeben. Die Aufnahme der Lichtteilchen erfolgt dabei nicht durch ein einzelnes Element, sondern durch eine ganze Reihe von riesigen Molekülen, die in den Pflanzenzellen den Lichtsammelkomplex bilden. Betrachten wir den Mechanismus allerdings auf kleinster Ebene, finden wir erneut die Analogie des Elektrons, das auf der Raststation des Lichtsammelkomplexes auf die Öffnung der Auffahrtssperre wartet.

Fermi-Problem

Wie bereits ausgeführt, können wir zum Beantworten unserer Frage nicht auf einfache Zahlen zurückgreifen. Wir können aber eine quantitative Abschätzung unter Berücksichtigung aller Zusammenhänge im Umfeld des Problems anstellen und so auf indirektem Weg zur Lösung kommen. Diese Herangehensweise wird, benannt nach dem italienischen Kernphysiker Enrico Fermi, auch als Fermi-Problem bezeichnet. Man nutzt also bekannte Daten und versucht daraus über Umwege die gesuchte Lösung so gut wie möglich anzunähern.

Die Sonne versorgt die Erde über das Jahr hinweg und abhängig von der Region mit unterschiedlich viel Lichtenergie, im Mittel wird aber typischerweise ein Wert von 165 W/m² angenommen. Das entspricht 1.446 kWh Energie, die jährlich in Form von Sonnenlicht auf jeden durchschnittlichen Quadratmeter der Erde strahlt. Pflanzen nutzen diese Energie konservativ betrachtet mit einer Effizienz von 3 %. Die Erdoberfläche hat Platz für 510.100 Milliarden Quadratmeter. Jetzt müssen wir also nur noch wissen, wie viel dieser Fläche mit Pflanzen bedeckt ist.

Dafür können wir aber nicht lediglich die Grün-Bedeckung der Erdlandmasse heranziehen, denn wir würden die dreidimensionale Pflanzenstruktur völlig außer Acht lassen. Stattdessen ist der Blattflächenindex (BFI), der als Blattfläche pro Bodenoberfläche definiert ist, eine geeignete Größe. Vom Oak Ridge National Laboratory gibt es einen Datensatz, in dem der zwischen 1981 und 2015 gemittelte BFI in Form von Koordinatendaten gespeichert ist. Die Zahlen bewegen sich in einem Wertebereich von 0 bis 6, mit den niedrigsten Werten in den Wüsten beziehungsweise an den Polen und den höchsten Werten im Amazonasgebiet. Unter Kenntnis der Erdkrümmung und der Koordinaten-Definition kann daraus der durchschnittliche BFI bestimmt werden, der sich zu 0,351 errechnet. Das bedeutet, dass alle Blätter und Nadeln der Gesamtmasse der Flora nebeneinandergelegt eine Fläche bilden, die etwa einem Drittel der Erdoberfläche – Ozeane mit eingeschlossen – entspricht.

Lösung

Jetzt bleibt uns nur noch, die ermittelten Größen in den richtigen Zusammenhang zu setzen. Glücklicherweise haben wir uns im Vorhinein darum bemüht, alles in den selben Einheiten zusammenzutragen, das Ergebnis ergibt sich also durch einfache Multiplikation. Die Gesamtenergie, die von allen Pflanzen der Erde – oder zumindest die mit dem BFI erfassten – durch Photosynthese aus Sonnenlicht umgewandelt und in Form von Glucose gespeichert wird, errechnet sich nach der oben angestellten Annäherung zu zirka 7.800.000 TWh.

Dieses Ergebnis schlägt nicht nur die menschengemachte Sonnenlichtumwandlung vernichtend mit einem Faktor von über 10.000, auch der Weltenergiebedarf wirkt dagegen wie eine Energiesparlampe. Gleichzeitig zeigt diese Rechnung aber auch das immense Potenzial der Photovoltaik auf, denn der Wert entspricht gerade einmal 1 % der gesamten auf die Erde auftreffenden solaren Energie.

Blattfächenindex

Die Messung des BFI erfolgt computergestützt durch Bildanalyse. Diese Methode muss aber für jede Pflanzenart extra kalibriert werden, indem die Blätter praktisch händisch gezählt werden.

Typische Werte finden sich in folgender Tabelle:

Ort BFI
Grasland 1–2
Nadelwald 5
Buchenwald (Sommer) 7
Buchenwald (Winter) 0,2
Fichte 5–10
Buche (Sommer) 6–8
Mais (32 Pflanzen/m²) 10
Mais (8 Pflanzen/m²) 4

 

von Maximilian Wolf


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