Warum überleben Pflanzen den Winter?

Genauso wie im Tierreich gibt es auch in der Flora eine Vielzahl an Strategien, den Winter zu überstehen. Blumen, Sträucher und Bäume haben alle ihre eigenen Mechanismen entwickelt und wir wollen die wichtigsten davon im Detail betrachten.

Alle bekannten Lebewesen auf unserer Erde brauchen und bestehen – meist größtenteils – aus flüssigem Wasser. Ist nichts davon vorhanden, aufgrund von Trockenheit oder weil es durch die Kälte in fester Form als Eis vorliegt, kommen sämtliche biochemische Reaktionen zum Stillstand. Für die meisten Organismen bedeutet das Austrocknen den Tod. Eine weitere Bedrohung stellt das frierende Wasser selbst dar. Die Bildung von Eis, in Form von kleinsten Kristallen, kann in pflanzlichen und tierischen Zellen erheblichen Schaden anrichten. Wie ist es also möglich, dass Pflanzen Jahr für Jahr in der eisigen Kälte überleben können und im darauffolgenden Frühling wieder zu neuem Leben erwachen?

Einjährige Pflanzen

Die radikalste Methode der Überwinterung wird von den sommerannuellen Pflanzen verfolgt. Also jenen krautigen Gewächsen, deren Lebenszyklus sich in unseren Breiten nur über die warme Jahreszeit erstreckt. Sie stecken ihre ganze Energie in die möglichst schnelle Bildung von Blüten, Früchten und schließlich Samen. Diese können durch ihren sehr geringen Wassergehalt kalte und trockene Zeiten überdauern und sind vollständig ausgerüstet für die Bildung einer neuen Pflanze.

Der richtige Zeitpunkt der Aussaat ist jedoch entscheidend. Werden die Samen zu früh produziert und abgeworfen, beginnen sie noch vor der eigentlichen Kälteperiode zu keimen. Ist die Pflanze zu spät dran, liegen die Samen frei und sind nicht von einer schützenden Schicht aus Laub und Schnee bedeckt. Um diese Fehler zu vermeiden und ein Fortbestehen der eigenen Art zu gewährleisten, nutzen viele Gewächse äußere Reize, wie die tägliche Lichtmenge, die Temperatur oder den Feuchtigkeitsgehalt des Bodens. Andere produzieren mehrere Samenpakete mit einem gewissen zeitlichen Abstand zueinander und erhöhen damit die Erfolgschancen, den richtigen Zeitpunkt zu treffen.

Weitere Pflanzentypen

Neben den Einjährigen durchlaufen auch die krautigen Zweijährigen und die krautigen oder verholzenden Mehrjährigen jeweils nur einen Fortpflanzungszyklus. Dabei sind aber mehrere Vegetationsperioden durch eine oder mehrere Trocken- bzw. Kälteperioden voneinander getrennt. Im Gegensatz dazu stehen die ausdauernden Pflanzen, die sich öfter – meist einmal pro Jahr – fortpflanzen. Alle diese Arten benötigen aktive Verteidigungsmechanismen, mit denen sie den Bedrohungen des Winters entgegnen.

Versteck' dich!

Eine weitverbreitete Strategie unter den krautigen zwei- und mehrjährigen Pflanzen ist das Überwintern unter der Erde. Am Beispiel von Tulpen sehen wir, dass die gefährdeten Blätter nach und nach absterben. Dabei holt sich die – hoffentlich tief – vergrabene Zwiebel die letzten Energiereserven aus den oberirdischen Pflanzenteilen und speichert sie in Form von Zucker und Stärke. Diese schützen zusätzlich vor dem Erfrieren und liefern im nächsten Frühjahr die notwendige Energie für eine neue Tulpe. Voraussetzung ist, dass die Pflanze nicht ihr ganzes Pulver für die Bildung von Samen verschossen hat und noch genügend Nährstoffe vorhanden sind. Von diesem Speicherungsprozess profitiert die Landwirtschaft für die Produktion von manchen Nutzpflanzen, wie Zwiebeln oder Rüben.

Zu den einjährigen Pflanzen zählen zum Beispiel die Ringelblumen, Dille, Kapuzinerkresse und Sonnenblumen.
Zwiebelpflanzen überwintern unter der Erde.
Im Querschnitt kann man anhand der Jahresringe das Alter des Baumes bestimmen.
Bildung von Holz

Eine völlig andere Herangehensweise wird von den verholzenden Pflanzen verfolgt, die sich nicht Jahr für Jahr gänzlich erneuern, sondern in trockenen und kalten Zeiten nur eine Wachstumspause einlegen. Anstatt sich im Boden zu verstecken, befördern sie Wasser ins Innere der pflanzlichen Sprossachsen – Stamm, Äste und Zweige – und sind durch die äußere harte und isolierende Schicht geschützt. Ebenso wie die krautigen Gewächse müssen sie sich auf die kommende Wachstumsperiode vorbereiten und speichern daher zusätzlich Energie, meist in Form von Stärke.

Der Wechsel zwischen den Wachstumsphasen und den trockenen Perioden wird sichtbar, wenn man die Jahresringe eines Baumstammes betrachtet. Am Beginn der Vegetationsperiode müssen die Nährstoffe schnell durch die Sprossachsen befördert werden und der Baum bildet viel weiches, durchlässiges Gewebe. Kurz vor dem Einbruch der Ruhephase wird zur Festigkeitssteigerung und zum Schutz ein härteres, dichtes Gewebe produziert. Dadurch folgt auf einen dicken, hellen Ring stets ein dünner, dunkler Ring und das Zählen dieser gibt meist Aufschluss über das Alter der Pflanze. Allerdings kommt es darauf an, wie viele Wechsel zwischen Wachstums- und Ruhephasen der Baum durchlebt hat und so kann es unter Umständen vorkommen, dass eine ausgeprägte Trockenperiode im Sommer ein zusätzliches Ringpaar erzeugt.

Die meisten verholzenden Pflanzen sind gleichzeitig auch ausdauernd, das heißt sie durchleben mehrere Fortpflanzungszyklen. Allerdings gibt es darunter auch mehrjährige Pflanzen, die nur einmal zur Blüte kommen. Ein Paradebeispiel dafür ist die Riesenbromelie (Puya raimondii), die bis zu 100 Jahre lang Nährstoffe sammelt und speichert, um innerhalb von zwölf Monaten den längsten Blütenstand der Pflanzenwelt – bis zu acht Meter – zu bilden und danach abzusterben.

Wenn das Klima das ganze Jahr hindurch annähernd gleich ist und keine Gefahr vor Austrocknung oder Erfrierung besteht, können auch krautige Gewächse mehrjährig oder ausdauernd gedeihen. Die Anpassung an die Umgebungsbedingungen kann in Pflanzen innerhalb von wenigen Generationen erfolgen, weil alle notwendigen Gene in der DNA vorhanden sind und diese nur entsprechend ein- oder ausgeschalten werden müssen. Eine Forschungsgruppe aus Belgien konnte vor einigen Jahren zeigen, dass die verschiedenen Pflanzentypen fließend ineinander übergehen können. Die Wissenschaftler schalteten in Acker-Schmalwand (Arabidopsis thaliana) zwei Gene aus, die für die Blütenbildung verantwortlich sind, und konnten die krautige, einjährige Pflanze zu einer verholzenden, mehrjährigen machen.

Zieh dich aus!

Umso kälter es wird, umso mehr wärmende Schichten ziehen wir Menschen an, um uns vor den tiefen Temperaturen zu schützen. Viele Pflanzen verfolgen jedoch eine gegenteilige Strategie und legen ihr prächtiges Blättergewand jedes Jahr vor Einbruch des Winters ab. Auch dieses Verhalten dient dem Schutz vor dem Erfrieren.

Damit Blätter ihrer Aufgabe, der Photosynthese, nachgehen können, müssen sie einen ständigen Wasser- und Gas-Austausch mit der Umgebung betreiben und dürfen an ihrer Außenseite keine isolierende Barriere aufbauen. In unseren Breitengraden, wo die Pflanzen einem saisonalen Wechsel zwischen langen, warmen und kurzen, kalten Tagen ausgesetzt sind, hat sich eine winterliche Ruhepause bewährt. Bei zu wenig täglichen Sonnenstunden ist die Versorgung von energiefressenden Blättern für den Organismus nicht mehr vorteilhaft und ein Trenngewebe am Ende des Blattstiels wird gebildet.

Kurz davor werden die letzten Nährstoffreste aus den Blättern gezogen und im Inneren des Stammes gespeichert. Sie dienen als Vorrat, damit im kommenden Frühling schnell eine neue Generation von Blättern gebildet werden kann. Unter dem Nährstoffmangel kommt es zu einer relativ raschen Degradierung des grünen Chlorophylls, wodurch die anderen Farbstoffe zur Geltung kommen. Die robusteren und nun sichtbaren Xanthophylle, Karotinoide und Anthocyane färben unsere Wälder gelb, orange, rot und violett.

Bekanntermaßen müssen Nadelbäume ihre Blätter im Winter nicht abwerfen, weil sie auf andauernde widrige Bedingungen spezialisiert sind. Wegen der geringeren Oberfläche und einer schützenden Wachsschicht verlieren sie über die Nadeln bei Trockenheit nicht so viel Wasser. Gegen die Gefahr vor Eiskristallbildung helfen höhere Zuckerkonzentrationen, indem sie den Gefrierpunkt herabsetzen. Der Nachteil dieser Strategie ist ein langsameres Wachstum im Gegensatz zu ihren laubbildenden Verwandten, dafür können sie diesem auch an einem sonnigen Tag im Winter nachkommen.

Resümee

Die verschiedenen Schutzmechanismen der Pflanzenwelt sind so vielfältig, dass in diesem kleinen Rahmen nur ein geringer Teil davon abgedeckt werden kann. Jeder Organismus ist durch die Evolution perfekt an seine Umgebung angepasst; seien es Trockenheit, Hitze, Kälte, Wind, Regen oder wechselnde Belastungen. Viele Strategien können auch in Milieus Vorteile bringen, deren Umweltbedingungen sich gänzlich von den ursprünglichen unterscheiden. Beispielsweise wird vermutet, dass der Ursprung der Nadelbäume eigentlich in den trockenen, heißen Wüsten liegt. Im Laufe ihrer Evolutionsgeschichte waren Pflanzen ständig neuen Bedrohungen ausgesetzt, wogegen sie sich erfolgreich wehren konnten. Diese Information ist in ihrer DNA gespeichert und ermöglicht ihnen eine enorme Anpassungsfähigkeit.

 

von Maximilian Wolf

Obwohl die Riesenbromelie über 100 Jahre alt werden kann, blüht sie nur ein einziges Mal für etwa 9 Monate.
A. thaliana ist die wohl bedeutendste Modellpflanze der Genomforschung. Im Jahr 2000 wurde ihr vollständig sequenziertes Genom veröffentlicht.

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