„Tomatl“ Ein Geschenk der Azteken

Längst sind wir es gewohnt, Tomaten das ganze Jahr über auf unserem Tisch zu haben. Der bei dieser vitalstoffreichen Frucht wichtige Reifegrad scheint jedoch in den Hintergrund gerückt zu sein.

Ursprung und Geschichte

Tomaten zählen heute weltweit zu den beliebtesten Gemüsesorten. Entstanden in ihrer Urform – nicht größer als eine Ribiselbeere – ist die Tomate zwischen Peru und Ecuador in den Anden, wo noch viele verwandte Wildformen zu finden sind. Die Azteken kultivierten das Gewächs, das sie „Tomatl“ (in der Bedeutung von „etwas prall Angeschwollenes“) nannten, seit Jahrhunderten als Nutz- und Heilpflanze, bevor es im 16. Jahrhundert, gemeinsam mit der Kartoffel, von spanischen und portugiesischen Seefahrern in die Neue Welt gebracht wurde. Die ersten nach Europa gebrachten Früchte waren möglicherweise gelb, wie der italienische Name pomo d’oro (goldener Apfel) vermuten lässt. Tomaten wurden in Europa lange Zeit wegen ihrer schön leuchtenden Früchte nur als Zierpflanze verwendet. Sie galten wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Nachtschattengewächsen und des ungewöhnlichen Geruchs der grünen Pflanzenteile als giftig. Lediglich als Heilpflanze schrieb man den Tomaten gewisse Wirkungen zu, weshalb sie in Frankreich zum Beispiel pomme d’amour (Liebesapfel) oder in Deutschland „Tollapfel“ genannt wurden. Erst vor ungefähr hundert Jahren begann man im deutschsprachigen Raum den ernährungsphysiologischen Wert der Tomate zu schätzen. Inzwischen gibt es eine unglaubliche Zahl an Tomatensorten, die weltweit auf über 10.000 geschätzt wird.

Alte Sorten und Hybriden

Früher war man bemüht, die Tomate von der Urform aus zu kultivieren und die besonderen Qualitäten einzelner Sorten zu fördern, indem man sie auf möglichst viele Pflanzen übertrug. Maßgebliches Selektionskriterium war der Geschmack, aber auch der Ertrag und die Robustheit gegenüber Umwelteinflüssen. Im Zeitalter der Technik eröffneten sich neue Absatzmärkte, sodass mehr und mehr die Massenproduktion im Vordergrund stand, wofür Sorten mit Eignung zur Nachreife auf den Transportwegen wichtig waren. Keine Frage, dass bei diesen Supermarkt-geeigneten, wunderschönen Neuzüchtungen mit vielfältigen Farb- und Formgebungen der Geschmack im wahrsten Sinn des Wortes „auf der Strecke“ blieb. Durch die Einführung der leistungsfähigeren, aber nicht weitervermehrbaren Hybridsorten, deren Anteil bis 1995 bereits bei 80 Prozent lag, nahm die Vielfalt im Handel ab, die alten Sorten wurden verdrängt, aber die Massensaatgut-Erzeugung floriert. Dankenswerter Weise haben sich immer wieder Tomatenliebhaber zusammengetan, um alte Sorten zu erhalten. Diese gibt es aber nur an wenigen Orten frisch geerntet zu kaufen, man muss sie selbst anbauen.

Die Tomate botanisch

Tomaten sind die Beerenfrüchte der zur Familie der Nachtschattengewächse (Solanaceae) gehörenden Pflanze. Die Pflanze ist niederliegend oder kletternd, wobei sie bis zu zwei Meter hoch werden kann. Wer keinen Garten hat, kann Tomaten auch auf dem Balkon oder am Fensterbrett ziehen, wenn der Platz sonnig ist und die Pflanzen eine humusreiche, lockere Erde vorfinden, die regelmäßig feucht gehalten wird.

Zwischen Mai und Oktober tragen Tomaten kleine gelbliche Blüten, ab August beginnen die vorerst grünen Früchte im Freiland zu reifen und färben sich rot. Das rote Fruchtfleisch von samenechten Tomaten hat einen pikanten, würzigen Geschmack und ist leicht verdaulich. Ältere Semester werden sich daran erinnern, welcher Genuss es war, im Sommer eine warme, gut gereifte, duftende Tomate vom Strauch zu brechen und hineinzubeißen!

Frisch gepflückte Paradeiser sind kälteempfindlich und sollten nicht im Kühlschrank, sondern bei Raumtemperatur ab 13 Grad möglichst im Dunklen aufbewahrt werden. Da die Früchte Ethylen – ein natürliches Reifegas – freisetzen, lagert man sie am besten getrennt von anderen Gemüsearten.

Die Tomate ernährungsphysiologisch

Tomaten bestehen zu ca. 94 % aus Wasser und sind allein deswegen ein ideales Gemüse für die leichte und gesunde Ernährung. Trotzdem sind sie reich an Vitaminen (B1, B2, B6 und E, Folsäure sowie viel Carotin und Vitamin C), Mineralstoffen und Fruchtsäuren. Unter den sekundären Pflanzenstoffen wie Flavinoide, Phenolsäure, Terpene weckte das Carotinoid Lycopin das Interesse der Wissenschaftler: Der sekundäre Pflanzenstoff Lycopin ist nicht nur die Basis für die leuchtend rote Farbe, sondern auch ein Antioxidans, ein Radikalfänger. Reife Tomaten haben einen Lycopinanteil von ca. 3,9 bis 5,6 mg pro 100 g Frucht. Wesentlich mehr Lycopin enthalten Dosentomaten (ca. 10 mg pro 100 Gramm) und konzentriertes Tomatenmark (ca. 62 mg Lycopin pro 100 Gramm). Bereits Studien aus den 1980er-Jahren, zum Beispiel von der American Association for Cancer Research (Gesellschaft für Krebsforschung) oder die Erkenntnisse von Prof. Dr. Jeffrey Blumberg von der Tufts University in Boston zeigen, dass Tomatenprodukte, für die Tomaten in gut gereiftem Zustand geerntet und sofort konserviert wurden, mehr Lycopin aufweisen, weil dabei die pflanzlichen Zellstrukturen aufgebrochen und das Lycopin herausgelöst wird. Verwendet man bei der Zubereitung von Speisen aus diesen Konserven und Konzentraten Fett (z. B. für eine Tomatensauce), ergibt sich zusätzlich eine Resorptionssteigerung und man muss hinsichtlich gesunder Ernährung kein schlechtes Gewissen haben.

Da Tomaten „Sonnenenergiespeicher“ sind, hängt der Anteil der enthaltenen Nährstoffe immer davon ab, ob sie genug Licht bekommen haben. Deshalb verwenden zum Beispiel Spitzenköche eingelegte Tomaten und Tomatenprodukte aus Ländern wie Italien, wo es eine optimale Sonneneinwirkung gibt.

Der geschmacklich wichtigste Bestandteil der Tomate sind freie Glutaminsäuren. Diese haben die Eigenschaft als Geschmacksverstärker zu wirken und geben allen Speisen einen runden Wohlgeschmack.

Grüne Tomaten enthalten – genauso wie die grünen Teile der Tomatenpflanze – Solanin, das typische Gift der Nachtschattengewächse. Das Alkaloid Solanin wirkt ab einer Dosis von 25 mg im Körper toxisch. 100 g grüne Früchte können bis zu 35 mg davon enthalten. Solanin wird durch Erhitzen nicht ganz zerstört, daher ist es ratsam, von Zubereitungen pro Mahlzeit nicht mehr als 100 g zu essen. Solanin kann Bauchweh, Krämpfe und Durchfall verursachen. In gut gereiften Tomaten ist Solanin nicht mehr enthalten.

Die Tomate als Handelsgut

Die größten Anbauländer sind China, Indien und die USA, gefolgt von der Türkei. Die heutigen Zuchtformen weisen eine ständig größer werdende Sortenvielfalt auf und teilen sich bei Handelsware grundsätzlich in die Hauptgruppen herkömmliche lose Tomaten, Rispentomaten, Fleischtomaten, Flaschentomaten (Eier- oder Pelati-Tomaten), Pflaumentomaten und Cherry- bzw. Kirschtomaten. Der Verbrauch an Tomaten hat sich in den letzten Jahren laufend erhöht: Der Jahres-Pro-Kopf-Verbrauch lag in Österreich 2020/21 bei rund 33 kg, womit sie mengenmäßig zum Lieblingsgemüse der ÖsterreicherInnen aufstiegen. Diese Entwicklung ist mit ein Grund, dass die Agrarmarkt Austria den “Sommersonnenkönig” 2009 erstmals im Rahmen des “Tages der Paradeiser” am 8. August huldigte. Das Wort Paradeiser dürfte sich in Österreich aus dem ursprünglichen Begriff Paradiesapfel (Paradiesgärtl – Paradieser) entwickelt haben.

Inländische Tomaten werden in etwa von März bis November (Gewächshaus-Tomaten bis in den Winter hinein) angeboten. In den österreichischen Glashäusern, Folientunneln, im Freiland und auch in den Hobbygärten herrschen jetzt die besten Bedingungen. Mit ausreichend frischen heimischen Tomaten ist für die Eigenversorgung im Sommer gesorgt und meistens wird sogar zuviel produziert. Auf das gesamte Jahr betrachtet liegt der Selbstversorgungsgrad von Tomaten in Österreich aber nur bei nicht einmal 20 Prozent (inkl. Ketchup). Weil der Überhang von 71.000 Tonnen exportiert werden kann und sich das Konservieren aufgrund fehlender Rezepturen von österreichischen Sorten finanziell für die Lebensmittelerzeuger nicht lohnt, finden wir in den Konservendosen ausländische, meist italienische Tomaten.

Die größten Tomatenproduzenten haben ihre modernen Glashäuser in Wien, wo auf Kokosfaser oder Steinwolle, versetzt mit einer Nährstofflösung, 34 Prozent unserer Tomaten wachsen. 27 Prozent der Tomaten kommen aus dem Burgenland und 24 Prozent aus Niederösterreich. Der Freilandanbau hat im österreichischen Erwerbsanbau kaum noch Bedeutung, nur im Foliengewächshaus und Bio-Tomaten dürfen immer in Erde wachsen.

Importe „frischer“ Tomaten von rund 330.000 Tonnen kommen zumeist aus Spanien, Italien, aus der Türkei oder aus Gewächshäusern in den Niederlanden oder Belgien.

Die österreichischen Ganzjahreskulturen werden von Gärtner- und Bauernfamilien betrieben und haben den Vorteil, dass dabei mehr Nützlinge als Pestizide verwendet werden und die Transporte zum Handel kurz sind. Daher sollten wir beim Einkauf in den Wintermonaten darauf achten, woher die Tomaten kommen.

 

 

von Brigitte Mramor


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