Zieht den Hut vor dem Holunder!

Kaum eine Pflanze lässt sich so vielseitig nutzen wie der Holunder.

Archäologische Ausgrabungen belegen die Existenz des Holunders in der Jungsteinzeit. Bekannte Heilkundler in der griechischen Antike wie der Philosoph und Naturforscher Theophrast (ungefähr 370 – 285 v.Chr.) und der Arzt Hippokrates (460 – 370 v.Chr.) haben seine positiven Wirkungen beschrieben. Die Erstveröffentlichung des Gattungsnamen „Sambucus“ findet man in Carl von Linnés „Species Plantarum“ im Jahr 1753.
Nach den vorwissenschaftlichen Erkenntnissen, anhand derer auch die deutsche Benediktinerin und Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098 – 1179) und später der bayrische Naturheilkundler Sebastian Kneipp (1821 – 1897) Holunder als Heilmittel empfohlen hatten, verlor der Holunder durch die in Labors entwickelten synthetischen Medikamente und auch als Nahrungsspender an Bedeutung. Kaum jemand machte sich die Mühe, seine Blüten und Früchte zu ernten. Man kultivierte ihn nur noch für die Herstellung von natürlicher Lebensmittelfarbe.
Erst als wissenschaftliche Untersuchungen die medizinische Wirksamkeit seiner Inhaltsstoffe beweisen konnten, erlebte diese alte Kulturpflanze eine Renaissance.

Der Holunder in Mythos und Volksglauben

Seit jeher pflanzte man den Holunder in der Nähe des Hauses, weil er als Lebensbaum, als Baum der Ahnen und als eine Art Tor in die Anderswelt angesehen wurde. Die Volkskunde und die Mythologie besingen den Holunder als heilkräftigen, magischen Baum. Zum „Zauberbaum“ wurde er, weil seine Heilkräfte in der Volksmedizin eine große Rolle spielten und sich rund um den Holunder viele Legenden und Aberglauben gebildet hatten. So wird der Strauch der germanischen Göttin Hel oder Holle zugeordnet, die sowohl als Göttin des Lebens wie auch des Todes und als Herrin über Geister und Elementarwesen gilt und – wie man glaubt – im Grimm-Märchen zur „Frau Holle“ wurde. Man meinte, dass die gütige Göttin im Holunderstrauch wohnt, daraus Schutz und Hilfe bietet und daher war es verpönt, diesen zu fällen. Schließlich sei der Holunder ebenso zweideutig wie seine Göttin ist: Er verfügt über Heilkraft, ist aber auch giftig, blüht leuchtend weiß, und bekommt schwarze Beeren. Allgemein bekannt wurde der Spruch „Vor dem Holunder zieh‘ den Hut herunter, … ( … vor dem Wacholder geh‘ in die Knie!)“
Weil der Holunder ohne Pflege wächst, wurde er auch als landwirtschaftliches Orakel für den Verlauf des Erntejahres verwendet.
Eine Besonderheit stellt die Legende dar, die zur Gründung der Stiftskirche Klosterneuburg geführt haben soll und um 1500 vom Hauptmeister der Passauer Malerei, Rueland Frueauf, als Tafelmalerei festgehalten wurde: Der Babenberger Markgraf Leopold III. ließ 1114 den Grundstein für die Kirche an jener Stelle legen, an der sich der Schleier seiner Frau in einem Holunderbusch verfangen hatte. Ein Landesreliquium in der Sammlung des Stiftsmuseums ist die barocke Schleiermonstranz in der Form eines Holunderbaumes aus Silber, großteils vergoldet und mit Diamanten, Smaragd und Perlen verziert.

Holunder in Österreich

Seit 1978 wird in Österreich Kulturholunder geerntet. Mehr als 500 Produzenten haben sich in der Steirischen Beerenobstgenossenschaft vereinigt. Die Hauptsorte Haschberg, die an der Forschungsanstalt Klosterneuburg selektiert wurde, wird in Zusammenarbeit mit Fachleuten aus Obstbau und Universitäten immer wieder weiterentwickelt, um neue Holundersorten kultivieren zu können, die robust sind, gleichmäßig reifen und eine hohe Farbintensität besitzen.
Die Anbauflächen erstrecken sich von der südwestlichen Steiermark bis nach Niederösterreich und ins Burgenland, wo ungefähr zehn Prozent der Kulturen nach kontrollierten Bio-Richtlinien bewirtschaftet werden. Durch diese geografische Spannweite und die unterschiedlichen Höhenlagen von 250 bis 700 Meter bietet die Beerenobstgenossenschaft Liefersicherheit und ist im Export mit rund 95 Prozent der Ernte, das sind 7 bis 9 Tonnen, erfolgreich. Die Anbaufläche wuchs aufgrund der steigenden Nachfrage auf rund 1.500 ha, denn seit der EU-Kennzeichnungspflicht für künstliche und synthetische Farbstoffe in Lebensmitteln hat der Einsatz von natürlichen Pflanzenfarbstoffen an Bedeutung gewonnen. Die Holunderbeeren werden von Mitte August bis Anfang Oktober ausschließlich per Hand geerntet.
Im Jahr 2019 betrug die Erntemenge aus Erwerbsanlagen 8.400 Tonnen, eine im Vergleich mit 2018 um 4 Prozent höhere Erntemenge, wobei die Erntemengen aus dem landwirtschaftlichen Streuobstbau nicht ermittelt werden.
Die ursprüngliche Verbreitung erstreckt sich vom nordwestlichen Afrika über Europa bis in das westliche Asien und in die Kaukasusregion.
Der Schwarze Holunder ist die häufigste Strauchart in Mitteleuropa, meist in Auwäldern, an Waldrändern, Gewässerufern, Lichtungen und in Gärten zu finden. In den Alpen findet man den Holunderstrauch bis in die mittlere Gebirgslage auf rund 1200 Meter. Diese mehrere Klimazonen umfassende Verbreitung basiert auf der Robustheit der Wildpflanze und seiner Unempfindlichkeit gegenüber Frost.

Der Holunder erfreut zwei Mal

Über den Holunder freut man sich im Frühjahr, wenn die aus vielen Einzelblüten bestehenden, flachen Schirmrispen duften und im Herbst, wenn er die glänzend schwarz-violetten Beeren – botanisch betrachtet Steinfrüchte – trägt.
Schwarzer Holunder (lat.: Sambucus nigra) bildet eine Gattung in der Familie der Geißblattgewächse. Weltweit gibt es neun Arten, von denen in Mitteleuropa drei heimisch sind. Am verbreitetsten ist der Schwarze Holunder, der im deutschen Sprachgebrauch verkürzt als „Holunder“, in Österreich als „Holler“ und in Norddeutschland oft auch „Fliederbusch“ genannt wird. Ungenießbar, weil giftig, ist der ebenfalls strauchförmige „Rote Holunder“ und der staudenförmige „Zwergholunder“ sowie – sehr selten – der „Weiße Holunder“.
Der Holunder ist eine selbstbestäubende Art. Die feinen Samen verbreiten Vögel mit ihren Ausscheidungen in der Natur. Will man ihn künstlich vermehren, fertigt man ein so genanntes Steckholz aus einjährigen Trieben an, die an frostfreien Wintertagen in die Erde gesetzt werden und im Frühjahr neu austreiben. Besonders gut gedeiht der Holunder auf sandigen, stickstoffreichen und schwach sauren Lehmböden.

Von der Wurzel bis zur Beere

Kaum eine Pflanze lässt sich so vielseitig und umfassend nutzen: Blätter, Triebe, Rinde, Holz und selbst die Wurzel wurden seit jeher für den alltäglichen Gebrauch genutzt. In England wurden Flöten aus den ausgehöhlten Ästen gemacht, und auch bei uns schnitzte sich so manches Kind eine kleine Pfeife daraus. Im alten Rom färbten sich die feinen Damen ihre Haare mit Holundersaft. Sogar Harry Potter verwendet den Holunder: Der Elderstab, ein Zauberstab, ist aus Holunderholz.
Die heutige Naturheilkunde nutzt die Inhaltsstoffe ähnlich vielseitig wie die Vorfahren in der Antike und im Mittelalter. Prophylaktisch interessant sind die in den Blüten beinhalteten ätherischen Öle, Flavonoide, Mineralstoffe, Gerb- und Schleimstoffe. Sie finden als schweißtreibendes Mittel bei grippalen Infekten und als schmerzlindernder, entzündungshemmender Tee Verwendung.
Die Holunderbeeren hingegen sind reich an Vitaminen (B-Vitamine, C, E, Niacin etc.), Kalium und Antioxidantien.
Da der unter dem Dach der Steirischen Beerenobstgenossenschaft kultivierte Schwarze Holunder einen hohen Anteil an Sambucyanin – dem hochwertigsten Farbstoff aus der Pflanzenwelt – enthält, finden daraus hergestellte Konzentrate nicht nur in der Lebensmittel- und Getränkeindustrie, sondern auch als Bestandteil von Naturkosmetikprodukten, in der Textil- und Pharmaindustrie Verwendung.
Die Blütendolden, als Sirup zubereitet oder in Backteig herausgebacken, stellen alljährlich für viele Feinschmecker eine Köstlichkeit dar. Die frisch gepflückten Holunderbeeren sind nicht zum Verzehr geeignet. Sie enthalten schwer verdauliche Lektine und Sambunigrin, ein Blausäure abspaltendes Glykosid, die zu Verdauungsbeschwerden und Brechreiz führen können. Durch Kochen werden diese Stoffe allerdings aufgespalten und genussfähig. Traditionell wird aus den Beeren Sirup, Gelee, Likör und Schnaps zubereitet.

 

Hollerlikör

Zutaten

• 3 l Holunderbeeren
• 2 l Wasser
• 1 kg Wiener Kandiszucker weiß
• 1 Pk. Vanillinzucker
• 1 Zimtstange
• 3 Gewürznelken
• ½ l Obstschnaps


Zubereitung

Gewaschene, gut abgetropfte Holunderbeeren ungefähr eine halbe Stunde im Wasser kochen, durch ein überbrühtes Mulltuch in einen großen Topf mit  Kandiszucker und den Gewürzen ablaufen lassen. Dann unter Rühren köcheln lassen, bis sich der Kandiszucker aufgelöst hat. Abgekühlt durch ein Haarsieb seihen und kaltstellen. Zuletzt gut mit dem Schnaps verrühren, in sterilisierte Flaschen füllen und gut verschließen. An einem kühlen, trockenen Ort einige Monate durchziehen lassen.


TIPP: Zum Abzupfen der Holunderbeeren Wegwerfhandschuhe anziehen. Wenn möglich, die Beeren mit einer Gabel von den Stielen streifen.

Text und Bilder von Brigitte Mramor


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