Aus heutiger Sicht ist ein Garten eher dann schön, wenn er dazu beiträgt, auch unseren Kindern noch ein gutes Leben in einer vielfältigen Natur zu sichern.

Die “RASEN“de Verwandlung einer Diva zur Mutter der Vielfalt

Statussymbol „Englischer Rasen“ – Beginnen wir gleich bei einer Kernfrage. Warum eigentlich gefällt vielen Menschen ein grüner Rasenteppich so gut?

 

Der bekannte Universalhistoriker Yuval Harari findet dafür in seinem Bestseller „Homo Deus“ folgende Erklärung: Der Rasen wurde einst von englischen und französischen Schlossherren erfunden. Damals gab es noch keine Rasenmäher. Um eine grüne Rasenfläche rund um ein Schloss herzustellen, war deshalb viel mühevolle Handarbeit und somit eine große Schar von Gartenarbeiter*innen nötig.

Der Rasen war also äußerlich wahrnehmbares Zeichen großen Reichtums und hat sich als solches schon vor Jahrhunderten in der gesellschaftlichen Wahrnehmung etabliert. Da Reichtum eine schöne Sache ist, wurde auch der einheitlich grüne Rasen bald als besonders schön empfunden.

Dies entspricht eigentlich gar nicht unserem genetischen Programm. Das lässt uns nämlich eher die strukturreichen und vielfältigen Landschaften, wie von bunten Hecken gesäumte Blumenwiesen, als schön empfinden. Denn sie versprechen Artenreichtum und instinktiv spüren wir, dass dies jene Orte sind, in denen auch wir selbst besser überleben können als in monotonen Graslandschaften.
Und so gelang es den reichen Schlossherren von einst, unsere Wahrnehmung von Schönheit nachhaltig umzuprägen. Als dann der Rasenmäher erfunden wurde, konnten sich plötzlich auch weniger wohlhabende Gesellschaftsschichten einen Rasen anlegen und somit ein Symbol von Reichtum in ihren Garten holen. Mit Pestiziden angereicherte Rasendünger und Rasensprenger machten dann den optischen Eindruck des grün leuchtenden Rasenteppichs perfekt.

Insekten als gefährliche Quälgeister

Die blumen- und damit insektenfreie Zone lässt sich zudem auch barfuß gefahrlos betreten und vermittelt das Gefühl eines Wohnzimmers im Freien, eines sicheren Platzes mitten unter dem freien Himmel.

Und da sind wir schon bei einem zweiten wichtigen Erbe aus unserer menschlichen Vergangenheit. Denn Insekten sind Teil einer Wildnis, die einstmals ein lebensgefährlicher Ort war. Selbst kleine Kratzer oder Bisse winzigster Insekten oder Zecken konnten ohne die Errungenschaften unserer modernen Medizin schnell zu tödlichen Infektionen führen und uns einen jähen und qualvollen Tod bescheren. Und solche Erfahrungen prägten sich in das Empfinden der Menschheit wohl viel stärker ein, als die für uns zumeist nur peripher wahrgenommene Leistung hunderter fleißiger Bienenarten, welche ganz ohne unser Hinsehen die Natur in ihrer Vielfalt erhalten und durch die Bestäubung von 70 Prozent unserer Nahrungspflanzen auch unser Überleben überhaupt erst möglich machen.
Nicht zuletzt aus diesen uralten Ängsten heraus fühlen sich viele Menschen in einem insektenarmen Garten sicherer. Dazu gehören dann auch noch die exotischen, großen Zuchtblumen mit gefüllten Blüten ohne Nektar, welche uns besonders hübsch anmuten und zugleich keine stechenden Bienen anlocken, aber unsere Natur in der Masse schädigen. Reinhard Mey´s Liedchen „Der Mörder ist immer der Gärtner!“ birgt also auch in Bezug auf die pflanzliche und tierische Vielfalt unserer Gärten mindestens ein Körnchen Wahrheit.

Aus meiner persönlichen Sicht hatte der vom Menschen in eine strenge Form gebrachte Garten aber Jahrhunderte lang durchaus seine Berechtigung. Denn Wildnis mit all den wunderbaren Leistungen, mit denen sie auch unser Überleben sichert, gab es ja rundherum genug.
Heute muss man leider sagen: „Es war einmal!“ Und deshalb definiert sich gerade ganz neu, was ein schöner Garten ist.

Doppelter Mut ist gefragt

Aus heutiger Sicht ist ein Garten eher dann schön, wenn er dazu beiträgt, auch unseren Kindern noch ein gutes Leben in einer vielfältigen Natur zu sichern. Ich persönlich glaube jedenfalls, dass wir gerade kurz vor einem Kipppunkt stehen, wo sich genau diese Sichtweise rasant durchsetzen wird. Und ich hoffe das auch im Sinne unserer Kinder und Enkel, denen wir doch auch ein gutes Leben wünschen.
Also brauchen wir jetzt doppelt Mut. Erstens den Mut, mit den alten Schönheitsvorstellungen der reichen Schlossherren zu brechen und dafür einzustehen, dass auch verwelkte Wildblumen in unserem Garten schön sein können. Denn ihre Samen bringen uns wieder einen Reichtum an kleinen, dafür aber stark duftenden Blütenmeeren. Und sie halten die so stark in Bedrängnis geratene Natur am Laufen, bis unsere Kinder das Ruder übernehmen und vielleicht ganz andere Wege einschlagen im Spannungsfeld zwischen materiellem Wohlstand und einer florierenden Natur als dessen allererster Basis.

Und zweitens brauchen wir den Mut, uns mit unserer uralten Insektenphobie tapfer auseinander zu setzen und zu verstehen, dass uns Insekten dank moderner Medizin heute nicht mehr wirklich gefährlich werden können. Vielmehr müssen sie heute als Garant unseres eigenen Überlebens nun rasch vor dem gänzlichen Abkratzen bewahrt werden. Und nicht nur beim Nachbarn fünf Häuser weiter, dessen Garten wir womöglich sogar als unordentlich empfinden, sondern vielleicht auch in unserem eigenen, geheiligten kleinen Refugium. Denn gerade jetzt zählt jeder Quadratmeter und kann mithelfen, den Malvendickkopf- und den Brombeer-Zipfelfalter vor dem Aussterben zu bewahren.

Wie macht man aus einer Diva eine beherzte Mama?

Und jetzt kommen wir zum schwierigsten Teil der Übung. Wie soll man denn gerade einen kleinen Garten, den man natürlich auch selber weiter gut nutzen möchte, in einen Ort heimischer Vielfalt verwandeln? Und jetzt bin ich einmal radikal ehrlich.

Es ist gar nicht einfach. Wie verwandelt man einen gedüngten Rasen zu einer Wiese, in der es bunt blüht, duftet, zwitschert und summt? Ich kenne und berate inzwischen viele Menschen, die es schon Jahre versuchen und trotzdem schnell wieder großteils nur Grashalme ernten, wenn auch mit längeren Stängeln. Eine gute Erklärung, wie das geht, braucht eigentlich einen weiteren Artikel. Und vielleicht bekomme ich ja auch bald einmal einen solchen. Das würde mich jedenfalls freuen.

Einstweilen kann ich nur Folgendes mitgeben:

Fangen Sie in mehreren, kleinen Schritten an, mit denen Sie sich wohlfühlen.

  1. Auf Rasendünger verzichten. Denn da sind meistens auch noch Pestizide mit im Gepäck, die auf der Verpackung nur auffallend schlicht kenntlich gemacht werden.
     
  2. Den vielleicht schon lieb gewonnenen Mähroboter nicht in den Abend- und Nachstunden bedienen, sondern wenn die Kinder in der Schule sind oder man auf einem Tagesausflug unterwegs ist.
     
  3. Der Natur wieder Schritt um Schritt Quadratmeter zurückgeben. Hier gibt es zum Beispiel eine sehr sympathische Beschreibung von Markus Burkhard, wie man ganze zwei Quadratmeter Garten in eine Blumenwiese verwandelt, welche den Namen aber dann auch verdient. (Youtube, Markus Burkhard, "Blumenwiese anlegen - die 5 besten Tipps!!!")
    Sie werden sehen, dass man dafür einiges wissen muss und ziemlich viel falsch machen kann. Grasnarbe am besten im Sommer entfernen, im Herbst oder Frühling nur drei bis fünf Gramm heimischen Wildblumen-Samen pro Quadratmeter in einer Mischung mit Sand oder Sägespäne aufbringen, ein bisschen mit Grasschnitt abdecken und zum Auskeimen einige Wochen feucht halten, gehören auf jeden Fall zu den wichtigsten Tipps.
Und dann noch ein Rat zum Saatgut

Schauen Sie sich einmal an, was bei Ihnen in der Umgebung so an wilden Blumen wächst, die Ihnen gut im Garten gefallen würden! Sammeln Sie zum richtigen Zeitpunkt ein bisschen Samen davon ein und machen Sie sich ihre eigene, feine Mischung, die noch dazu genetisch gut an Ihr Umfeld angepasst ist. So können Sie die Diva des Gartens schrittweise in eine herzerwärmende Mama der natürlichen Vielfalt umwandeln und vielleicht dann bald einmal spüren, wie spannend es ist, die verschiedenen, kleinen Besucher* innen zu beobachten. Ich verspreche, man lernt viel über das Leben. Wenn man z. B. nur zuschaut, welchen Appetit die hübschen Rosenkäferdamen beim Sex auf Blüten haben. Sex macht sie offenbar zugleich sehr hungrig. Oder wie winzige Räupchen in sechs Wochen das Tausendfache an Gewicht zunehmen, wenn sie nicht längst vorher im Magen eines Meisenkükens landen.
Man ist plötzlich verbunden mit dem Kreislauf des Lebens und kann im Garten bei einem Gläschen Aperol darüber philosophieren, was uns als Menschen im Besonderen ausmacht und wer wir künftig sein wollen.

Was ich selbst sein möchte, weiß ich jedenfalls nach jahrzehntelangem Beobachten des bunten Treibens auf den Wiesen. Ich möchte diese Vielfalt, aus der ich hervorgegangen bin und die mich trägt und ernährt, erhalten und zugleich die unglaublich tollen Errungenschaften des Menschen in den Bereichen Medizin und Technik so einsetzen, dass wir ein gutes Leben in Harmonie mit der Schöpfung leben können. Der Mensch hat die Kreativität, das hinzubekommen. Und ich will ein Teil dieses Prozesses sein. Und ich bin ziemlich sicher. Das ist bei Ihnen genauso. Also packen wir es doch gemeinsam an!

Link zu passendem Saatgut: Rewisa-Netzwerk

 

 

von DI Marion Jaros


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